Die historische Entwicklung der Miesmuschelfischerei
an der schleswig-holsteinischen Küste.
Teil 1 – Die Miesmuscheln aus dem Wattenmeer ...
... wurden schon in der vorgeschichtlichen Zeit als Nahrungsquelle genutzt, wie archäologische Untersuchungen alter Kücheabfallhaufen zeigen. Auch im Mittelalter dienten Miesmuscheln vor allem den ärmeren Bevölkerungsschichten zur Sicherung der Ernährung, waren sie doch nahezu rund ums Jahr ohne besondere Ausrüstung zu beschaffen.
Chronisten berichten, „dass die Muscheln, in deren Schalen lebendiges Fleisch oder Fisch vorhanden sei, aus der salzigen See herausgeholt, gekocht und gegessen werden“. Pastor Lorenz Lorenzen von der Hallig Nordmarsch schreibt im Jahre 1749 „An den nord- und westlichen Watten findet man Muscheln, welche schmackhaft zu essen und fleißig gesammelt werden ... und können arme Leute sich fast allzeit damit des Hungers erwehren“. Auch die Miesmuschelschalen wurden schon damals verwertet. Sie dienten auf Föhr und Sylt zur Verbesserung der Ackerböden, und schon vor der großen Sturmflut im Jahre 1634 wurde daraus Kalk gebrannt, um Mörtel oder Wandfarbe zu gewinnen. Die Nutzung war so erheblich, dass der Handel mit Muschelkalk, wie so vieles, von der Obrigkeit reguliert war.
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Muscheln fast ausschließlich mit der Hand auf den trocken fallenden Wattflächen gesammelt. In der gleichzeitig betriebenen, staatlich lizensierten Austernfischerei, die sich geschleppter Geräte bediente, und die im permanent mit Wasser bedeckten Teil des Wattenmeeres stattfand, wurden zeitweise junge Miesmuscheln, die als Austernschädlinge galten, mit aufgefischt. Diese Muscheln wurden ebenfalls zur Düngung der Felder verwendet.
Teil 2 – Im ersten Weltkrieg ...
... kam es zu stark steigendem Bedarf an inländisch produzierten Nahrungsmitteln. Die Miesmuscheln auf den Wattflächen wurden nun in großen Mengen geerntet, was teilweise bei Ebbe mit Forken, zunehmend aber bei Hochwasser mit Keschern oder mit geschleppten Geräten, den sog. Muscheldredgen bzw. -dredschen geschah. Durch die inzwischen vorhandene Verkehrsinfrastruktur war ein überregionaler Vertrieb möglich geworden, und die Miesmuscheln waren in ganz Norddeutschland Bestandteil der Lebensmittelrationen. Die Muschelgewinnung, ihre Verarbeitung und der Vertreib war durch staatliche Vorgaben genau geregelt und wurde durch extra dafür gegründete Gesellschaften betrieben.
Auch lokal kam es vermehrt zur Nutzung der Miesmuscheln, die z.B. auf Föhr gekocht, entschalt, und eingesalzen und dann vertrieben wurden.
Nach dem ersten Weltkrieg, in dem mehrere 1000 t pro Jahr von den trocken fallenden Miesmuschelbänken an der schleswig-holsteinischen Westküste gewonnen worden waren, ging die Nachfrage nach Miesmuscheln im Rahmen der „Normalisierung“ der Nahrungsversorgung zunächst stark zurück und die Muscheln wurden wieder nur im geringen Umfang zur Deckung des lokalen Bedarfs gesammelt bzw. gefischt. Anfang der dreißiger Jahre siedelte sich in Wyk auf Föhr eine Firma an, die zunächst mit einem aus den Niederlanden gecharterten Muschelkutter Miesmuscheln fischte, und ab etwa 1935 mit Versuchen begann, nach niederländischem Vorbild die Qualität der Muscheln durch Umlagerung auf dauerhaft mit Wasser bedeckten Flächen zu verbessern. Während des zweiten Weltkrieges wurden erneut mehr Lebensmittel aus inländischer Produktion benötigt, und die Befischung der natürlichen trocken fallenden Miesmuschelbänke wurde auch unter Hinzuziehung von beschlagnahmten niederländischen Fahrzeugen und zwangsverpflichteten niederländischen Fischern stark ausgeweitet, so dass wieder Fangmengen von mehreren 1000 t pro Jahr erreicht wurden. Nach dem Krieg kam es vorübergehend zu geringeren Anlandemengen, was sowohl durch den Abzug der niederländischen Fahrzeuge, als auch durch strenge Eiswinter bedingt war. Aber auch nach erneuter „Normalisierung“ der Nahrungsmittelversorgung im Nachkriegsdeutschland brach diesmal die Miesmuschelfischerei nicht zusammen, im Gegenteil, sie übertraf bald die im Krieg gewonnen Jahresmengen bei Weitem. Hintergrund dieser Entwicklung war ein Parasitenbefall der in den Niederlanden und in Niedersachsen anwesenden Miesmuschelbestände, die dadurch so wenig Fleisch enthielten, dass sie nicht mehr vermarktbar waren. Der dortige Muschelbedarf wurde nun durch Anlandungen aus dem schleswig-holsteinischen Wattenmeer gedeckt, und die Nachfrage war so groß, dass die Landesregierung sich gezwungen sah, erste Regulierungen der Muschelfischerei einzuführen. Nach dem der Parasitenbefall in den Niederlanden zurückgegangen war, blieben die schleswig-holsteinischen Muschelfischereibetriebe im Geschäft, denn sie hatten zwischenzeitlich gelernt, die Qualität und die Menge der Muscheln durch das Zuchtverfahren auf ständig wasserbedeckten Kulturflächen sehr zu verbessern. Aus Muschelfischern wurden nun nach und nach Muschelzüchter, also Landwirte des Meeres. Bevorzugt wurden nun ganz junge Muscheln auch im nicht trocken fallenden Teil des Watts aufgefischt, um sie auf den Kulturflächen auszupflanzen. Nach zwei bis drei Jahren, und mehrfacher Umlagerung war die Marktreife erreicht, und die Muscheln konnten nach Reinigung vermarktet werden.
Teil 3 – In der niederländischen Oosterschelde ...
... gab es schon viel länger eine ausgeprägte Miesmuschel- und Austernzucht mit einer entsprechenden Verarbeitungs- und Vermarktungsinfrastruktur, die zudem nahe an den bedeutenden Märkten des Rheinlandes, Belgiens und Frankreichs lag. Die in Schleswig-Holstein gezüchteten Muscheln wurde mehr und mehr über das dortige Handelszentrum vermarktet, so dass sich ein reger Handel zwischen diesen beiden Nachbarländern, der sich bis heute gehalten hat, entwickelte. Verschiedene deutsche und niederländische Firmen schlossen sich zusammen, um die logistischen und finanziellen Probleme zu überwinden. Anfang bis Mitte der 70er Jahre hatte der Kreis Nordfriesland gemeinsam mit einem Hamburger Kaufmann und einem Muschelfischer versucht, in Emmelsbüll-Horsbüll einen Muschelversandbetrieb mit frischen Muscheln zu etablieren. Der Versuch scheiterte allerdings aufgrund mangelnder Marktkenntnisse. Nach einem weiteren Besitzerwechsel erwarb eine Firma aus dem niederländischen Yerseke die Anlage und begann mit der Produktion mit Muscheln in Essig für die Muttergesellschaft in den Niederlanden. Ein Grund dafür war auch die Maßnahme der schleswig-holsteinischen Landesregierung, Fanglizenzen nur noch in Verbindung mit der Verpflichtung zur Errichtung einer Produktionsstätte vor zu vergeben. Es wurden im Laufe der Jahre Investitionen im Millionenbereich in Emmelsbüll-Horsbüll und in Dagebüll getätigt und Arbeitsplätze in der Verarbeitung geschaffen.
Zu einer politisch kontroversen Diskussion über Art und Umfang der Muschelfischerei kam es mit der Ernennung des Wattenmeeres zum Nationalpark und der Veröffentlichung des Syntheseberichtes Mitte der 90er Jahre. Die Unternehmen haben danach einen Vertrag mit dem Land geschlossen, in dem das Fischen von Miesmuscheln zum Besatz der Kulturen im trocken fallenden Bereich des Wattenmeeres nunmehr untersagt ist. Diese dürfen nur noch in bestimmten Bereichen des Wattenmeeres gefangen werden, und nur noch zum Besatz der Kulturen verwendet werden. Nur auf festgelegten Kulturen in definierten Gebieten durfte die Muschelwirtschaft betrieben werden. Weitere strenge Begrenzungen für den Saatmuschelfang folgten. Herz- und Schwertmuschelfischerei wurden gesetzlich verboten, bevor sie ernsthaft entwickelt werden konnten.
Vom 01.01.2012 bis zum 31.12.2026 gilt ein neuer öffentlich-rechtlichen Vertrag, der weitere, strenge Auflagen und weitere Flächenreduzierungen für die Besatzmuschelfischerei, aber auch verbesserte Möglichkeiten zum Betrieb von sogenannten Saatmuschelgewinnungsanlagen enthält. Abstimmungen mit anderen Nutzern werden zukünftig jährlich durchgeführt und wissenschaftliche Begleituntersuchungen tragen dazu bei, dass auch zukünftig eine nachhaltig-ökologisch und umweltschonende Muschelfischerei und Bewirtschaftung im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer stattfinden kann.